[ Schön-Und-Gut ]
Alles schön und gut, aber welche Veranlassung verbirgt sich hinter diesem „Blog“ und vor allem hinter dieser Überschrift?
Lassen Sie sich zu einem Rundgang einladen: durch die Erlebnis- und Erfahrungswelten, wie sich diese meinem ärztlichen Unterwegssein auftun.
Diese Reise führt durch Länder des „Ja, aber…“ in Regionen des „Ja, und…“ – und wieder zurück.
Frei nach Peter Handke* (über den Dichter Jan Skácel ) werden hier Begründungs- und relativierende Einräumungswörter augenzwinkernd abgewiesen: kein „Weil“, kein „Obwohl“ – nur die uralten „Und“, „Dann“, „Wenn“ und „Als“ finden hier Zutritt – sind sie es doch, welche diesem Erzählgebäude ein Gesicht geben sollen.
Ein Schönes und Gutes gleichermaßen.
[ Light- & Darkfulness ]
Ich sitze im Rest eines Sonnenlichts wie es das schwere Jahr wenige Tage vor der Wintersonnenwende gerade noch hergibt – an Sonnentagen zumindest. Jetzt kann man der Sonne direkt ins Angesicht blicken, selbst mittags, blinzelnd.
„Blinzeln“
Während ich dieses Wort schweigend nachbuchstabiere (allein der Gedanke macht Blinzeln) finde ich mich in der Erinnerung ganzwoanders wieder: in einem Operationssaal.
Genauergesagt in einem jener Momente kurz vor Beendigung eines Eingriffes (sagen wir es ging um Wiederherstellung von Kontur, Symmetrie, von Form), der Kopfteil des Operationstisches mit dem darauf noch narkotisierten Patienten wird aufgerichtet, das gleißende Licht der OP-Leuchten gelöscht. Zurückweichen und Aufstellung nehmen, in gemessenem Abstand am Fußende. Und während nun die eben noch so geschäftigen Hände des Operateurs ruhen, erwacht für einen kurzen Moment ein letzter überprüfender Blick. Aufs Äußerste fokussiert, alles mitein- und nichts ausschließend: ein Blinzeln.
Eine Insel. (irgendwo in Thailand, 2014)
In sicherer Entfernung zu der sanften Brandung erhebt sich aus der seidigen Ebenmäßigkeit eines hochzeitshaften Sandstrandes: eine Nase.
Auf den Wunsch der Kinder, überlebensgroß und doch naturgetreu, handgemacht.
Unter wissenden Fingern und geschultem Auge wuchs hier ein Gesichtsgebirge heran:
Ein sanft ansteigender Rücken, nicht zu schmal, gerade eine immerwieder angefeuchtet darübergleitende hohlhandbreit führt geradewegs auf ein hügeliges Gipfelplateau von Nasenspitze, in welcher sämtliche Anstiege münden: die beiden sich symmetrisch aus den schattigen Buchten beiderseits aufschwingenden wie auch jene überhängende, bald senkrecht, säulenhaft aufragende Direttissima des Nasenstegs.
Vollendet, nahezu: ein letztes Zurücktreten (wohlige Wellen umspülen Barfüßigkeit), ein prüfendes Blinzeln (eine grelle Sonne hilft): Licht, Schatten, ganz Kontur.
Der Inhalt, in die Unwesentlichkeit geblinzelt,
ist doch nichts als Sand.
Ordination Sievering, ein Juliabend (spät)
Endlich ist es dunkel geworden. Dunkel genug um über der Behandlungsliege die Lichter angehen zu lassen. Leitern, Kartonagen, unterschiedliche Strahlkörper, Linsen, Filter, eine Testperson: liegend. Ihr test-bestrahltes Gesicht wird heute in all seinen Licht- und Schattenseiten, Farbtemperaturen und Helligkeitsabstufungen unter verschiedenen Einstrahlungswinkeln aus er spätabendlichen Dunkelheit der Ordinationsräumlichkeiten gehoben.
Ein Experte eines auf Lichtlösungen spezialisierten Unternehmens und jener Arzt, dessen Name am Eingang der Ordination zu lesen ist umkreisen das beleuchtete Subjekt, blinzelnd, und verlieren sich in einer gemeinsamen Detail- und Präzisionsverliebtheit („…hoffentlich nicht mehr allzulange…“ denkt es hinter dem regungslosen Gesicht der Bestrahlten).
Dezember. Morgenfrost, eine Wiese über Wien (früh)
Ich sitze an den Stamm einer Kastanie gelehnt über einer noch schlafenden Stadt und denke: Nichts.
Mein Weg hier herauf führte mich heute durch eine selten volle Stille.
Ein unwirkliches Rotkehlchen blickte mich stumm aus entlaubtem Geäst an: hingesetzt, irgendwie.
Auch der Wind, wie er sich sonst an all den unzähligen Oberflächen hörbar macht, weht heute anderswo.
Mein Blick fällt über die Lichter der Stadt, auf den schweren Fluß, den ein allererstes Morgengrau aus dem allgemeinen Schwarz abseits alles Beleuchteten freigibt. Alle Häuser dieser Stadt erwachen aus eben demselben, scheinen den Fluß selbst, seine frühe Farbe zu trinken.
Im selben Moment nimmt auch mein nächtliches Dunkelsein Farbe an, das scheue Lichtwerden ringsum setzt einen ersten, amorphen Gedanken frei.
Da bemerke ich den spitzen Blick eines Igels,
(wie lange er mich wohl schon beobachtet?)
und (m)ein Lächeln.
Und,
wie eine Kastanie
sich an mich lehnt.
Wien, im Advent 2019
[ Aliveness: Regenerated ]
Ich sitze in der siebenten Reihe auf dem Heimflug von London nach Wien, irgendwo über dem nordwesteuropäischen Festland und einer Wolkendecke, die sich dieser Tage wohl von „oben“ besser anfühlt als von „unten“.
London.
Eine Kongressreise hat mich heuer bereits zum zweiten Mal hierhergeführt. „Regenerative Plastic Surgery“, so das Thema.
Wer regeneriert hier wen?
Wird regeneriert?
(Ich mag es, wie das Englische ganz selbstverständlich und unvorbereitet die Türen ins Vieldeutige, in die Spiegelkabinette des Paradoxen aufstößt und uns ohne gestelzte Umwege ins eigentliche (übrigens mein persönliches Lieblingswort in der Buchstabensuppe des Wienerischen) Thema führt.
Heutzutage ist es möglich Fettgewebe innerhalb des menschlichen Körpers von A nach B zu verpflanzen: Absaugen, Aufbereiten, Injizieren. Ein Weiterleben dieser in unseren Körpern meist nicht zu knapp gespeicherten Zellen in deren neuer Heimat, beispielsweise in den ermatteten, verlassenen „Wohnräumen & Landschaften“ des Gesichts wird durch spezielles Know-How (worüber sich eben hier in London während der letzten Tage Experten austauschten) sichergestellt. Doch vielmehr noch bewirkt diese regenerative Umsiedlung von Zellen in dem neuen Zuhause ein zartes Wiedererstehen einer verlorengegangenen Qualität des Gewebes: Straffheit, Elastizität, Volumen.
Regeneration eben.
Ich denke an Mariama.
An das scheue Lächeln das sie mir zum Abschied schenkte, jetzt da die Behandlung ihres zerstörten Gesichtes abgeschlossen ist. Mehrmals hat sie den Operationssaal unserer Klinik im westafrikanischen Niger von innen gesehen. Liegend. Ich sehe sie vor mir, und die unterdrückte Träne in ihrem Augenwinkel, ihren suchenden Blick, ihre Angst auch.
NOMA hat sie überlebt, mit halbem Mund, halbem Gesicht. Ohne Familie, auch die fehlt, da man sie nicht mehr dabeihaben wollte damals, vielleicht – oder konnte, wahrscheinlich.
Nun aber ist sie wieder-her-gestellt nach all den Operationen , vorallem nach der letzten: vollständig. „Lipo-Filling“ stand neben ihrem Namen und der Zahl „14“, ihrem Alter, auf dem Operationsprogramm.
Schließlich haben die Fettzellen aus ihrem rechten Oberschenkel in den Tälern, Dellen und Rest-Defekten ihres Gesichtes eine neue Heimat gefunden und den letzten Schliff, die letzte Portion Symmetrie, die letzte Brise „Glow“ in ihr Gesicht gezaubert.
Daß in weiterer Folge auch die Narben aus den vorangegangenen Operationen (mußte doch zunächst in komplizierten Eingriffen Haut und Gewebe vom Hals in die riesigen, klaffenden Wunden geschwenkt und einmal das „Grobe“ angegangen werden) sosehr von den herangeschafften und injizierten Fettzellen profitierten, weicher, flacher, weniger sichtbar wurden, macht mir eine „naturwissenschaftliche“, eine kuriose Freude über die Wunderwirksamkeiten unseres Körpers.
Mariama’s Abschiedslächeln macht mich Lächeln, jetzt, wo hier in Reihe 7 der Sinkflug auf Wien beginnt.
Die dichte Füllung der Wolkendecke wird nun erlebbar: wie schnell doch die Strahlkraft des Sonnenlichts abnimmt, klares Blau sich in diffuses Grau entfärbt je näher wir der Erde kommen.
Mariama ist mittlerweile rück-geführt in ihre ursprüngliche Familien- und Dorfgemeinschaft:
Re-integriert, Re-konstruiert, Re-generiert
Als Über-Lebende.
Viele von Mariama’s Herzschlägen liefen in den letzten Jahren über den Überwachungsmonitor im Operationssaal. Jahrelang entwickelte Fingerfertigkeiten, Kompetenzen und in Kongreßsälen aufgenommenes KnowHow mündeten über all jene die vorort in Mariama‘s Behandlungen Hand anlegten in ihrem Mädchengesicht.
Ihr junges Leben und Leiden hat Fingerabdrücke in ihrem Gesicht hinterlassen. Sie erzählen von Schrecken, Krankheit und dem AndersSein. Von einer uneigentlichen Kindheit im Abseits, am Rand.
Auch von Behandlung, von Zuwendung –
Und ihr Lächeln:
von Verwandlung.
Gelandet.
Wien begrüßt mich mit einer flüchtigen Novembersonne.
Wiedereinmal bringe ich neue Bausteine für (m)eine „schöne“ Medizin mit nach Hause.
Eine Medizin,
die zuallererst nicht schaden,
zuoberst wieder-gut- und wieder-ganz-machen,
„heilen“ möchte.
Und die die Menschen bewahren möge:
lebendig, sichtbar, verfügbar
vor und für sich selbst,
vor und für einander.
Wien, im November 2019
[ Gesichts-Verlust.]
„So sind wir nicht. So ist Österreich einfach nicht.“
Recht deutlich haben wir das gehört. Und waren alle einer Meinung. Nun ist es ja bekanntlich leichter zu erklären wie man nicht ist, als zu beschreiben wie (oder wer) man ist. Dabei fallen mir die ersten Bücher meiner Kindheit ein. Anhand von Gegensätzen wurde mir – dem damals noch kleinen ErdenBürger – die Welt in der wir leben zu erklären versucht.
Diesen Zugang habe ich mir bis heute bewahrt, besonders in Momenten des Ausgesetztseins auf den schmalen Graten des Paradoxen, wo sich links und rechts die Abgründe des Gegensätzlichen auftun:
Der Umweg über das Gegenteil (von etwas), hat mir dieses Etwas oftmals erst erschlossen.
(Schauplatzwechsel)
In der Nomaklinik Niamey gibt es keine Spiegel. Die Kinder hier in Westafrika haben durch die Krankheit NOMA große Teile ihres Gesichts verloren und erwarten nun als Verstümmelte, Entstellte und Ausgegrenzte die Wiederherstellung ihres Halbgesichts in größtmöglicher Ganzheit. Was ein Gesicht ist, wird hier an dessen Gegenteil erkennbar. Ganz besonders für jemanden der aus einem Land wie dem unseren in diese Regionen des „Zuviel-an-Zuwenig“ kommt.
Spiegel braucht es hier nicht.

(Foto M.Zinggl)
(Schauplatzwechsel)
Es ist Sonntagabend.
In der abendlichen Stille meiner Ordination fällt mein Blick auf das silberne Ehrenzeichen der Republik, welches mir vor Kurzem von Bundespräsident Alexander Van Der Bellen verliehen wurde. In diesem Augenblick scheint sich das Rot des Läufers und die Umrisse der darauf stehenden Gestalt in den kunstvoll gearbeiteten Strahlen dieses silbernen Sterns zu spiegeln – Welches Gesicht hat Österreich?
Im Angesicht unseres Gegenübers werden wir es finden. (Und lächelnd wissen wer wir sind.)
***
Österreich, am 19.5.2019
[ Cupido. ]
Mai!
Alles Blühen, Knospen und Sich-Regen des ganzen Jahres in einem Wort, in einer Silbe – selbst Lippen röteten jetzt in neuem Rot, sagt man.
Apropos – Vor einiger Zeit hat mir eine Freundin ein Geheimnis anvertraut – besser gesagt – von einem solchen erzählt. Selbiges rankt sich um die Entstehung jenes kleinen Grübchens welches sich von der Mitte unserer Oberlippe zum Nasensteg hin ausdehnt. Der Engel Lailah, so die Überlieferung, hätte uns Erdlingen an der Schwelle ins Leben alles, was wir hinkünftig wissen müssten ins Ohr geflüstert und diese Botschaft anschließend für alle Zeiten und Welten als Geheimnis in unserem Herzen versiegelt, als äußeres Zeichen den Engelsfinger zart auf unsere Oberlippe gelegt und dabei jenes Grübchen hinterlassen¹.
Soweit die Überlieferung.
Ein Fingerabdruck also, ein schutzengelhafter, als Siegel innersten Wissens.
Schon lange hat diese dreidimensionale Besonderheit der Oberlippe, welche bereits in der Antike als Philtrum² bezeichnet wurde mein Interesse geweckt und mich auf so manche Spurensuche geführt: Nicht nur in medizinhistorischer Hinsicht, sondern auch im Hinblick auf die Möglichkeiten der Wiederherstellung dieser anatomischen Struktur – wodurch selbige im Laufe des Lebens auch immer verletzt, entstellt oder über die Jahre einfach abhandengekommen sein mochte.
Nun weiß man, dass so eine Oberlippe im Laufe des Lebens (Geheimnis hin oder her) so mancher Veränderung unterworfen ist. Mithilfe hochauflösender Bildgebung und anhand photometrischer Methoden³ machte man sich gerade in letzter Zeit über alle Geschlechter und Lebensalter hinweg eifrig an die Vermessung unzähliger Oberlippen.
Alles Forschen, Messen, Analysieren und Abtasten förderte letztlich eine Menge an Erkenntnissen über Verlust von Volumen, über Prozesse der Ausdünnung der Gewebe sowie über diverse Formveränderungen im Laufe des Lebens (wie beispielsweise die Verbreiterung der Oberlippe auf Kosten des eigentlichen Lippenrots) zutage.
Auf dem Fundament all dieser Ergebnisse gelingt es heute so eine Oberlippe (und damit auch jenes Merkmal einstigen Berührtwerdens) in all ihrer Schönheit vor dem Zahn der Zeit zu bewahren.
Ob wir wohl dadurch jenem Geheimnis in den Tiefen unseres Herzens näherkommen, fragt meine Freundin.
Nachdenklich lege ich den Zeigefinger an meine Oberlippe und da, im Moment des Betastens jener bogenförmigen Erhabenheit an der Grenze des Lippenrots, fällt mir die alte Liebesgeschichte zwischen dem griechischen Gott Amor und der sterblichen Königstochter Psyche ein.5
Auch darin geht es ja um ein Geheimnis.
Meiner Freundin jedenfalls muss ich vorerst die Antwort auf ihre Frage schuldig bleiben.
Und während ich so darüber sinniere ob nun vielleicht Amor selbst, dieser pausbäckige, göttliche Lausbub mit Pfeil und Bogen, am Ende gar der Bewahrer, Wächter und Hüter dieses Geheimnis an der Schwelle unseres Lippenrots sein könnte –
Ja, da lächelt mir der neue Mai zu, und erinnert mich an jenen Zauber, welcher sich dem erschließt, der es versteht sich nicht sosehr dem schmallippigen Ergründen-Müssen, als vielmehr dem vollmundigen L e b e n des Geheimnisvollen selbst anzuvertrauen.
Möge uns dabei jenes zarte Grübchen an unserer Oberlippe heiteren Mut machen.
* * *
1 Schwartz, Howard (1 October 1994). „Gabriel’s Palace: Jewish Mystical Tales“. OUP USA – via
Google Books.
2 Hyrtl, J.: Onomatologia anatomica. Geschichte und Kritik der anatomischen Sprache der
Gegenwart. Braumüller, Wien 1880. Nachdruck Olms, Hildesheim und New York 1970:405-407
3 Tonnard PL, Verpaele AM, Ramaut LE, Blondeel PN.
Plast Reconstr Surg. 2019 Feb 13.
Aging of the upper lip, part II: Evidence Based Rejuvenation of the Upper Lip: a Review of 500 consecutive Cases.
4 Ramaut L, Tonnard P, Verpaele A, Verstraete K, Blondeel P.
Plast Reconstr Surg. 2019 Feb;143(2):440-446. Aging of the Upper Lip: Part I:
A Retrospective Analysis of Metric Changes in Soft Tissue on Magnetic Resonance Imaging.
5 Edward Brand, Wilhelm Ehlers (Hrsg.): Apuleius: Amor und Psyche. Artemis & Winkler,
Düsseldorf 2002, ISBN 3-7608-1372-0
[ How we see, is what we see. ]
Ich erinnere mich an meine ersten Handgriffe.
Die koryphäenhafte Souveränität meines ersten chirurgischen Lehrers ragte darüber in ihrer geschliffenen Brillanz an virtuoser Fingerfertigkeit vor mir auf, erschütterte mich in Mut, Anmut und Selbstverständlichkeit und erschien mir schlichtweg unerreichbar.
Damals.
Heute, zwanzig Jahre danach, blicke ich mit einem verzeihlichen Lächeln auf diese Periode ehrgeiziger Strebsamkeit und kann behaupten, dass sich der messerscharfe Blickwinkel auf die Operationsfelder von damals übergangslos zu einem wissenden Schauen geweitet, gewandelt, gewissermaßen tiefengeschärft hat.
Meine Erfahrungen haben mich auf einen Weg des Schauens, besser HinSchauens, geführt, mit dem ich, nun ja, fast zufrieden bin.
Als Arzt oder vielleicht gerade als Repräsentant jener besonderen Daseinsform des ästhetisch-plastisch-rekonstruktiven Chirurgen ist man ja fast verpflichtender Maßen nie zufrieden. Ich fürchte, dass diese Unruhe das essentielle Drehmoment zu fortwährender Weiterentwicklung ist.
Im Angesicht unzähliger Gesichter (inmitten meiner Gesichts-Ordination) findet man sich nun als Arzt in einem besonderen „Fluidum“ menschlichen Begegnens wieder.
Davon kann ich wohl viele Gesichtsgeschichten zwischen Wien und Westafrika, zwischen Not und Bedürftigkeit erzählen.
(Und werde dies hinkünftig in diesem Erzählungsraum so schön-und-gut tun, wie es mir nur möglich ist.)
Wissen.
So sehr ich mich in den letzten Jahren auf den Rat eines weisen Mannes hin immer wieder in der Kunst des „In-die-Luft-Schauens“ übe, so weiß ich doch (mit Gewissheit förmlich): erst der wissend Sehende weiß, worauf zu schauen ist: Kann sehen, was er sieht.
Und auch ich weiß das:
(ein im Erblinden begriffener Herzensfreund, ein bildender Künstler noch dazu, hat es in mir auf berührende Weise zur Gewissheit werden lassen):
Dass nämlich auf diese Weise aus einem Blinden ein Sehender werden könne.
Und
dennoch, liebe Unruh´ (schön und gut), Du bleibst bei mir, (bitte bleib´ bei mir!), weiß ich doch als ein in der Fingerfertigkeit des wissenden Schauens Übender um jene Beschränktheit in der Wahrnehmung der Welt um uns, all der Gesichter, in denen uns das Leben unter die Augen treten will, bescheid –
Wir sehen die Dinge vielweniger wie diese selbst,
sondern vielmehr wie wir selbst sind.
* * *
(Dieser Eingangsbeitrag schien mir gleichsam als Vorwort zu all dem hinkünftig hier Veröffentlichten angebracht, geeignet oder vielmehr:
Schön und gut.)
Am Roten Meer, im April 2019
*Peter Handke in Die Zeit, 25/16.6. 1989: „Das plötzliche NIchtmehrwissen des Dichters“ – Laudatio auf Jan Skàcel anläßlich der Verleihung des Petrarca-Preises