[ Light- & Darkfulness ]

[ Light- & Darkfulness ]

Ich sitze im Rest eines Sonnenlichts wie es das schwere Jahr wenige Tage vor der Wintersonnenwende gerade noch hergibt – an Sonnentagen zumindest. Jetzt kann man der Sonne direkt ins Angesicht blicken, selbst mittags, blinzelnd.

„Blinzeln“

Während ich dieses Wort schweigend nachbuchstabiere (allein der Gedanke macht Blinzeln) finde ich mich in der Erinnerung ganzwoanders wieder: in einem Operationssaal.
Genauergesagt in einem jener Momente kurz vor Beendigung eines Eingriffes (sagen wir es ging um Wiederherstellung von Kontur, Symmetrie, von Form), der Kopfteil des Operationstisches mit dem darauf noch narkotisierten Patienten wird aufgerichtet, das gleißende Licht der OP-Leuchten gelöscht. Zurückweichen und Aufstellung nehmen, in gemessenem Abstand am Fußende. Und während nun die eben noch so geschäftigen Hände des Operateurs ruhen, erwacht für einen kurzen Moment ein letzter überprüfender Blick. Aufs Äußerste fokussiert, alles mitein- und nichts ausschließend: ein Blinzeln.

Eine Insel. (irgendwo in Thailand, 2014)

In sicherer Entfernung zu der sanften Brandung erhebt sich aus der seidigen Ebenmäßigkeit eines hochzeitshaften Sandstrandes: eine Nase.

Auf den Wunsch der Kinder, überlebensgroß und doch naturgetreu, handgemacht.
Unter wissenden Fingern und geschultem Auge wuchs hier ein Gesichtsgebirge heran:
Ein sanft ansteigender Rücken, nicht zu schmal, gerade eine immerwieder angefeuchtet darübergleitende hohlhandbreit führt geradewegs auf ein hügeliges Gipfelplateau von Nasenspitze, in welcher sämtliche Anstiege münden: die beiden sich symmetrisch aus den schattigen Buchten beiderseits aufschwingenden wie auch jene überhängende, bald senkrecht, säulenhaft aufragende Direttissima des Nasenstegs.
Vollendet, nahezu: ein letztes Zurücktreten (wohlige Wellen umspülen Barfüßigkeit), ein prüfendes Blinzeln (eine grelle Sonne hilft): Licht, Schatten, ganz Kontur.
Der Inhalt, in die Unwesentlichkeit geblinzelt,
ist doch nichts als Sand.

Ordination Sievering, ein Juliabend (spät)

 

Endlich ist es dunkel geworden. Dunkel genug um über der Behandlungsliege die Lichter angehen zu lassen. Leitern, Kartonagen, unterschiedliche Strahlkörper, Linsen, Filter, eine Testperson: liegend. Ihr test-bestrahltes Gesicht wird heute in all seinen Licht- und Schattenseiten, Farbtemperaturen und Helligkeitsabstufungen unter verschiedenen Einstrahlungswinkeln aus er spätabendlichen Dunkelheit der Ordinationsräumlichkeiten gehoben.

Ein Experte eines auf Lichtlösungen spezialisierten Unternehmens und jener Arzt, dessen Name am Eingang der Ordination zu lesen ist umkreisen das beleuchtete Subjekt, blinzelnd, und verlieren sich in einer gemeinsamen Detail- und Präzisionsverliebtheit („…hoffentlich nicht mehr allzulange…“ denkt es hinter dem regungslosen Gesicht der Bestrahlten).

 

Dezember. Morgenfrost, eine Wiese über Wien (früh)

Ich sitze an den Stamm einer Kastanie gelehnt über einer noch schlafenden Stadt und denke: Nichts.

Mein Weg hier herauf führte mich heute durch eine selten volle Stille.
Ein unwirkliches Rotkehlchen blickte mich stumm aus entlaubtem Geäst an: hingesetzt, irgendwie.

 

Auch der Wind, wie er sich sonst an all den unzähligen Oberflächen hörbar macht, weht heute anderswo.

 

Mein Blick fällt über die Lichter der Stadt, auf den schweren Fluß, den ein allererstes Morgengrau aus dem allgemeinen Schwarz abseits alles Beleuchteten freigibt. Alle Häuser dieser Stadt erwachen aus eben demselben, scheinen den Fluß selbst, seine frühe Farbe zu trinken.

 

Im selben Moment nimmt auch mein nächtliches Dunkelsein Farbe an, das scheue Lichtwerden ringsum setzt einen ersten, amorphen Gedanken frei.

 

Da bemerke ich den spitzen Blick eines Igels,
(wie lange er mich wohl schon beobachtet?)

 

und (m)ein Lächeln.

 

Und,
wie eine Kastanie

 

sich an mich lehnt.

Wien, im Advent 2019