[ Aliveness: Regenerated ]
Ich sitze in der siebenten Reihe auf dem Heimflug von London nach Wien, irgendwo über dem nordwesteuropäischen Festland und einer Wolkendecke, die sich dieser Tage wohl von „oben“ besser anfühlt als von „unten“.
London.
Eine Kongressreise hat mich heuer bereits zum zweiten Mal hierhergeführt. „Regenerative Plastic Surgery“, so das Thema.
Wer regeneriert hier wen?
Wird regeneriert?
(Ich mag es, wie das Englische ganz selbstverständlich und unvorbereitet die Türen ins Vieldeutige, in die Spiegelkabinette des Paradoxen aufstößt und uns ohne gestelzte Umwege ins eigentliche (übrigens mein persönliches Lieblingswort in der Buchstabensuppe des Wienerischen) Thema führt.
Heutzutage ist es möglich Fettgewebe innerhalb des menschlichen Körpers von A nach B zu verpflanzen: Absaugen, Aufbereiten, Injizieren. Ein Weiterleben dieser in unseren Körpern meist nicht zu knapp gespeicherten Zellen in deren neuer Heimat, beispielsweise in den ermatteten, verlassenen „Wohnräumen & Landschaften“ des Gesichts wird durch spezielles Know-How (worüber sich eben hier in London während der letzten Tage Experten austauschten) sichergestellt. Doch vielmehr noch bewirkt diese regenerative Umsiedlung von Zellen in dem neuen Zuhause ein zartes Wiedererstehen einer verlorengegangenen Qualität des Gewebes: Straffheit, Elastizität, Volumen.
Regeneration eben.
Ich denke an Mariama.
An das scheue Lächeln das sie mir zum Abschied schenkte, jetzt da die Behandlung ihres zerstörten Gesichtes abgeschlossen ist. Mehrmals hat sie den Operationssaal unserer Klinik im westafrikanischen Niger von innen gesehen. Liegend. Ich sehe sie vor mir, und die unterdrückte Träne in ihrem Augenwinkel, ihren suchenden Blick, ihre Angst auch.
NOMA hat sie überlebt, mit halbem Mund, halbem Gesicht. Ohne Familie, auch die fehlt, da man sie nicht mehr dabeihaben wollte damals, vielleicht – oder konnte, wahrscheinlich.
Nun aber ist sie wieder-her-gestellt nach all den Operationen , vorallem nach der letzten: vollständig. „Lipo-Filling“ stand neben ihrem Namen und der Zahl „14“, ihrem Alter, auf dem Operationsprogramm.
Schließlich haben die Fettzellen aus ihrem rechten Oberschenkel in den Tälern, Dellen und Rest-Defekten ihres Gesichtes eine neue Heimat gefunden und den letzten Schliff, die letzte Portion Symmetrie, die letzte Brise „Glow“ in ihr Gesicht gezaubert.
Daß in weiterer Folge auch die Narben aus den vorangegangenen Operationen (mußte doch zunächst in komplizierten Eingriffen Haut und Gewebe vom Hals in die riesigen, klaffenden Wunden geschwenkt und einmal das „Grobe“ angegangen werden) sosehr von den herangeschafften und injizierten Fettzellen profitierten, weicher, flacher, weniger sichtbar wurden, macht mir eine „naturwissenschaftliche“, eine kuriose Freude über die Wunderwirksamkeiten unseres Körpers.
Mariama’s Abschiedslächeln macht mich Lächeln, jetzt, wo hier in Reihe 7 der Sinkflug auf Wien beginnt.
Die dichte Füllung der Wolkendecke wird nun erlebbar: wie schnell doch die Strahlkraft des Sonnenlichts abnimmt, klares Blau sich in diffuses Grau entfärbt je näher wir der Erde kommen.
Mariama ist mittlerweile rück-geführt in ihre ursprüngliche Familien- und Dorfgemeinschaft:
Re-integriert, Re-konstruiert, Re-generiert
Als Über-Lebende.
Viele von Mariama’s Herzschlägen liefen in den letzten Jahren über den Überwachungsmonitor im Operationssaal. Jahrelang entwickelte Fingerfertigkeiten, Kompetenzen und in Kongreßsälen aufgenommenes KnowHow mündeten über all jene die vorort in Mariama‘s Behandlungen Hand anlegten in ihrem Mädchengesicht.
Ihr junges Leben und Leiden hat Fingerabdrücke in ihrem Gesicht hinterlassen. Sie erzählen von Schrecken, Krankheit und dem AndersSein. Von einer uneigentlichen Kindheit im Abseits, am Rand.
Auch von Behandlung, von Zuwendung –
Und ihr Lächeln:
von Verwandlung.
Gelandet.
Wien begrüßt mich mit einer flüchtigen Novembersonne.
Wiedereinmal bringe ich neue Bausteine für (m)eine „schöne“ Medizin mit nach Hause.
Eine Medizin,
die zuallererst nicht schaden,
zuoberst wieder-gut- und wieder-ganz-machen,
„heilen“ möchte.
Und die die Menschen bewahren möge:
lebendig, sichtbar, verfügbar
vor und für sich selbst,
vor und für einander.
Wien, im November 2019