[ Gesichts-Verlust.]
„So sind wir nicht. So ist Österreich einfach nicht.“
Recht deutlich haben wir das gehört. Und waren alle einer Meinung. Nun ist es ja bekanntlich leichter zu erklären wie man nicht ist, als zu beschreiben wie (oder wer) man ist. Dabei fallen mir die ersten Bücher meiner Kindheit ein. Anhand von Gegensätzen wurde mir – dem damals noch kleinen ErdenBürger – die Welt in der wir leben zu erklären versucht.
Diesen Zugang habe ich mir bis heute bewahrt, besonders in Momenten des Ausgesetztseins auf den schmalen Graten des Paradoxen, wo sich links und rechts die Abgründe des Gegensätzlichen auftun:
Der Umweg über das Gegenteil (von etwas), hat mir dieses Etwas oftmals erst erschlossen.
(Schauplatzwechsel)
In der Nomaklinik Niamey gibt es keine Spiegel. Die Kinder hier in Westafrika haben durch die Krankheit NOMA große Teile ihres Gesichts verloren und erwarten nun als Verstümmelte, Entstellte und Ausgegrenzte die Wiederherstellung ihres Halbgesichts in größtmöglicher Ganzheit. Was ein Gesicht ist, wird hier an dessen Gegenteil erkennbar. Ganz besonders für jemanden der aus einem Land wie dem unseren in diese Regionen des „Zuviel-an-Zuwenig“ kommt.
Spiegel braucht es hier nicht.

(Foto M.Zinggl)
(Schauplatzwechsel)
Es ist Sonntagabend.
In der abendlichen Stille meiner Ordination fällt mein Blick auf das silberne Ehrenzeichen der Republik, welches mir vor Kurzem von Bundespräsident Alexander Van Der Bellen verliehen wurde. In diesem Augenblick scheint sich das Rot des Läufers und die Umrisse der darauf stehenden Gestalt in den kunstvoll gearbeiteten Strahlen dieses silbernen Sterns zu spiegeln – Welches Gesicht hat Österreich?
Im Angesicht unseres Gegenübers werden wir es finden. (Und lächelnd wissen wer wir sind.)
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Österreich, am 19.5.2019